Kindheit

Die bunten Murmeln in den Blumenvasen meiner Oma. Der lange Keller, der die drei Mehrfamilienhäuser unterirdisch verbunden hat; der perfekte Ort zum Verstecken. Die Tapete mit den roten Herzen. Der Friedhof auf der anderen Straßenseite, in dem wir im Dunkeln Grabkerzen gestohlen haben. Die Grabkerze, an der ich mich verbrannt habe und die mich zum ersten Mal spüren ließ, wie schmerzhaft Feuer sein kann. Das Maisfeld, in dem uns der Mais über die Köpfe ragte; in dem wir uns verirrten wie in einem Labyrinth. Der Schrottsammler vor meinem Zimmerfenster. Dienstagnachmittage, an denen mein Vater mir und meinem Bruder am Kiosk eine Tüte Brausebonbons kaufte und wir anschließend meine Mutter vom Nähkurs abholten. Der Junge aus meinem Stadtteil, der mich bedroht hat und den ich daraufhin in den Bauch getreten habe, so dass er keine Luft mehr bekam. Die leerstehenden Ruinen, die zu unseren Häusern wurden, die wir aufräumten und einrichteten. Die Ameise, die sich unter mein T-Shirt verirrt und mich vor Panik mehrfach gebissen hat. Die Schnecken, die ich auf den Feldern gesammelt habe und in einem Schuhkarton mit nach Hause nahm, bis meine Mutter mich erschrocken aufgefordert hat, sie wieder auszusetzen. Der rote Nachthimmel über den Stahlfabriken der Stadt. Samstagmorgende mit meinem Vater und meinem Bruder im Schwimmbad. Das Duplo danach. Die Kinderfilme sonntagmorgens im Kino. Der Astrid Lindgren Film „Mio mein Mio“, den wir nicht zu Ende schauen konnten, weil mein Bruder sich fürchtete. Eiskonfekt. Dienstage mit meiner Oma. Weihnachtsfeiern in der Grundschule, auf denen ich jedes Jahr ein Gedicht aufsagen musste, anstatt im Krippenspiel mitspielen zu dürfen. Das Sportfest und die Ehrenurkunde. Der Geschmack von kaltem Hagebuttentee, den es täglich im Kindergarten gab. Die bedrohlich bellenden Schäferhunde im Zwinger unseres Nachbarn. Der Geburtstag von Verena, an dem wir Kindesentführer spielten. Übernachten bei Nina und heimliches Tutti-Frutti-Gucken. Die Fliege im Glas auf der Fensterbank, die in der Sommerhitze benommen wurde. Der rot-grau gestreifte Bezug meines Bettes. Unterarmvergleiche in der Pause; meiner: der dünnste. Wer hat Angst vorm schwarzen Mann. Brennnesseln von unten nach oben berühren. Die feststehenden Bürsten im Waschbecken des Clubhauses und meine Faszination darüber, wie mit ihnen Gläser gespült wurden. In der Eishalle nach der Pause als Erste das feuchte Eis betreten und Kufenspuren hinterlassen. Die Angst, blutleer zu werden, wenn einen im Leben zu viele Mücken stechen. Das Foto von Caroline im Meine-Freunde-Buch, auf dem sie in der Nase bohrt. Mein unsichtbarer Freund Arthur, der in jedem Wettkampf gegen mich verlor. Der Baggersee mit der Insel aus Sand, zu der wir schwammen. Die Brombeeren an der Hecke unserer Tiefgaragenauffahrt. Endlose Sommertage auf dem Tennisplatz. Hoch oben in einer Baumkrone auf die Welt schauen. Der Wunsch, niemals erwachsen zu werden.

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